Sonntag, Juni 24

Propaganda oder nicht? "Taliban-Radio Shari'ah Zhagh sendet wieder!"

Das unter DXern und "Media Professionells" sehr beachtete RNW Media Network Weblog meldete am Morgen des 21. Juni den Beginn eines scheinbar neuen Radiokriegs in Afghanistan. Die BBC-Meldung, die Andy Sennitt zitiert, darf jedoch aus guten Gründen bezweifelt werden. Es scheint, dass die Welt mal wieder der Taliban-Propaganda aufgesessen ist. Wie schon zwei Jahre zuvor.


Unter Berufung auf BBC News schreibt Andy Sennitt[1], die Taliban habe unter der Bezeichnung "Voice of Shariat" ("Die Stimme der Sharia") in Afghanistan wieder mit Rundfunksendungen begonnen. Die Meldung zitiert einen Sprecher der Taliban. Danach habe es Dienstag Nacht (19.06.2007) ein Halb-Stunden-Programm geben, jetzt würde täglich gesendet. Die Radiostation arbeite mit geringer Sendeleistung, möglicherweise werde ein mobiler Sender verwendet und könne nur in den südöstlichen Teilen Afghanistans gehört werden. Eine Frequenzangabe wird nicht genannt, "vermutlich werde auf Mittelwelle gesendet" ("but presumably it is on mediumwave").


Nur schwach hörbar
Media Network bezieht sich auf den BBC-Bericht von Pam O'Toole in den BBC News[2], dieser wiederum auf nicht näher genannte "Berichte aus dem Südosten Afghanistans". Die lokale Bevölkerung dort sage, die Station (gemeint ist Radio Shari'ah Zhagh) könne in Teilen der vier südöstlichen Provinzen - wenn auch nur schwach - gehört werden, in Paktika, Paktia, Khost und Ghazni. Dies habe ein (Anm. d. Autors: namentlich nicht benannter) afghanischer Beamter in Paktia bestätigt. Auch die Taliban kommen in dem BBC-Bericht vom 21. Juni 2007 zu Wort: "Sie sagen, sie würden einen mobilen Sender benutzen, um zu verhindern, von amerikanischen oder afghanischen Truppen abgeschaltet zu werden." Eine zweite, von den Taliban unabhängige Quelle, die diese Angaben bestätigt, wird nicht genannt.


Afghanische Ingenieure
Schon vor zwei Jahren, im April 2005, geisterten ähnliche Meldungen durch die Presselandschaft. Damals schienen die Taliban allerdings besser gerüstet. Aus Peshawar (Pakistan) meldete am 18. April 2005 die "Afghan Islamic Press"[3]: "Taleban Radio sendet wieder in Afghanistan" und zitierte den Taliban-Sprecher Mofti Latifollah Hakimi: "Radio Shari'ah Zhagh sendet heute Morgen für eine Stunde von 0600 bis 0700 Uhr Lokalzeit in Dari und Pashto. Außerdem heute Abend von 1800 bis 1900 Uhr Lokalzeit. Die Taliban besitzen drei Radiostationen. Eine davon ist nun wieder in Betrieb und die anderen werden folgen. Gesendet wird auf UKW 100,8 und 100,9 sowie auf Mittel- und Kurzwelle." Auf die Frage, wie der Taliban es denn gelänge, diese Stationen in Betrieb zu setzen, antwortete Hakimi damals: "Wir haben die Stationsausstattung importiert und afghanische Ingenieure haben sie errichtet."


Entgegen den BBC-Standards
Einen Tag später, am 19. April 2005, berichtet Paul Anderson für BBC News aus Kabul[4]: "Die Taliban melden sich in Teilen Afghanistans wieder zurück im Radioäther. (...) Verwendet wird ein mobiler Sender, um zu verhindern, von amerikanischen oder afghanischen Truppen abgeschaltet zu werden." Die selbe Formulierung, die auch im Juni 2007 wieder verwendet werden wird. Auch im April 2005 fehlt die Nennung einer zweiten unabhängigen Quelle. Streng genommen ein Unding, gemessen an den hohen Ansprüchen der BBC gegenüber ihrer sonstigen Berichterstattung - und ein Verstoß gegen die "BBC Guidelines"[5].


Nichts als Wunschdenken?
Und so müssen sich all jene, die den Relaunch von "Shari'ah Zhagh" vermelden, fragen lassen: Wo gibt es Beweise dafür, dass die Taliban-Radiostation "Shari'ah Zhagh" (was korrekt übersetzt eigentlich "Stimme des islamischen Gesetzes" heißen müsste) tatsächlich mit der Wiederaufnahme von Rundfunk-Sendungen begonnen hat? - Auf der Suche nach Spuren, die eine Aktivität von "Shari'ah Zhagh" belegen, merkt man vor allem, dass hier fleißig voneinander abgeschrieben wurde[6][7]. Interessant erscheint beim genaueren Studium der verfügbaren nicht-geheimdienstlichen Quellen die Aussage des Taliban-Sprechers Hakami: "Shariah Zhagh ist eine bewegliche Station. Sie sendet ihre Programme bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Niemand kann die Frequenzen der Station während dieser Zeiten aufspüren."[8] Wenn man sie aber nicht "aufspüren" kann, wer kann sie dann empfangen? Auf diese Aussage bezieht sich wohl auch die Antwort des Sprechers des US State Departments, Richard Boucher, vom 18. April 2005 auf die Frage eines Journalisten nach dem "clandestine radio network" der Taliban[9]: "Untergrundradio. Das ist ein interessantes Konzept, niemand kann es hören. Es muss geheim bleiben. (Gelächter.)"


"Ein Haufen Mullahs"
Möglicherweise erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob das Taliban-Radio "Shari'ah Zhagh" nun sendet oder nicht, mit der Verringerung der Distanz zum Objekt der Betrachtung. So berichtet die Kabul Times am 26. April 2005[10]: "Die Taliban haben davor gewarnt, Radio Shari'ah zu reaktivieren..." und zitiert den US-Oberbefehlshaber der koalierten Streitkräfte General David Barno mit den Worten, seine Truppen würden den Talibansender ausschalten, wo auch immer er sich befände. Wohl gemerkt, in Kabul drohen die Taliban gerade mal mit einer möglichen Reaktivierung. Dass die Verfasser des entsprechenden Artikels der Kabul Times dies für nicht gerade wahrscheinlich halten, begründen sie mit ein paar Fragen, die sich auch westliche Journalisten gefallen lassen müssen:

1. Von wo aus soll gesendet werden?
2. Welches Equipment soll verwendet werden?
3. Wer soll die Radioingenieure ausgebildet haben?
4. Woher soll das benötigte Geld kommen?

Die Kabul Times liefert zu den Fragen auch gleich Argumente, die die Unwahrscheinlichkeit der Annahme belegen, dass "Shari'ah Zhagh" wieder sendet: "Bezogen auf einen möglichen Sendestandort besteht kein Zweifel, dass die Koalition ihn mittels geeigneter Abhörmaßnahmen ausfindig machen würde." Leicht könnten sie ihn durch Bombadierung dann "ausschalten". Außerdem sollte sich feststellen lassen, welche Stationsausrüstung zu verwenden beabsichtigt wird, wer sie liefert und zu welchem Preis. Und: "Keine Radiostation lässt sich ohne die Hilfe und Unterstützung durch professionelle Ingenieure betreiben." Die Taliban, ein "Haufen Mullahs", seien extrem technikfeindlich eingestellt, und Ingenieure würden nicht freiwillig die Taliban unterstützen, es sei denn, sie seien vollkommen geistesgestört - so die Kabul Times weiter. "Also, woher sollen sie ihre Ingenieure her haben und wer bezahlt sie? Seit die Vereinigten Staaten Al Kaida´s und andere dubiose Konten eingefroren haben, finanziert wer die Taliban, um eine Radiostation zu betreiben?" Das seien auch die Kernfragen, mit denen sich CIA, ISI (Pakistans Militärgeheimdienst) und der afghanische Geheimdienst beschäftigten. Die würden schon Antworten finden. "Den Rest überlassen sie den afghanischen und amerikanischen Kollegen."


Tom DF5JL

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[1] http://blogs.rnw.nl/medianetwork/?p=8250
[2] http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/6224972.stm
[3] Afghan Islamic Press news agency (AIP), Peshawar, in Pashto 1115 gmt 18 Apr 05
[4] http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/4459121.stm
[5] http://www.bbc.co.uk/guidelines/editorialguidelines/edguide/accuracy/gatheringmateri.shtml
[6] http://mail.sarai.net/pipermail/cr-india/2005-May/007029.html
[7] http://www.clandestineradio.com/intel/stationnews.php?id=7&stn=725
[8] UPI Apr 23, 2005 via Grace-USA
[9] http://www.clandestineradio.com/crw/news.php?id=&stn=725&news=651
[10] The Kabul Times, Kabul, in English 26 Apr 05

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